Schutz gegen Überlaststrom (DIN VDE 430 u. a.) - Strombelastbarkeit von Leitungen und Kabel (DIN VDE 0298-4)

Bei folgendem Text handelt es sich um sicherheitskritische Berechnungen und Auslegungen der Norm. Die Texte dienen der Prüfungsvorbereitung und spiegeln die Ansicht des Autors wider. Vor Anwendung in der Praxis ist die Norm im Original zu studieren und mit den Gegebenheiten vor Ort abzugleichen. Für Folgen aus falsch dimensionierten Leitungen (Brand, Stromschlag) haftet der Errichter der Anlage! 

Ein paar Fakten vorweg:

  • durch Sicherung überwacht wird üblicherweise der Außenleiter
  • wenn in Drehstromnetzen Schaden oder Gefahr durch einzelnes Abschalten von Außenleitern ausgeht, müssen alle drei Außenleiter gleichzeitig getrennt werden (allpolig abschalten)
  • der Neutralleiter muss nicht überwacht und speziell geschützt werden, wenn zu erwarten ist, dass der Strom nicht größer als der Außenleiterstrom wird (gegeben in reinen Wechselstromnetzen)
  • ist der Strom auf dem Neutralleiter größer zu erwarten als auf dem Außenleiter, wird die Leitung nach diesem Strom gewählt
  • wenn der Neutralleiter überwacht und geschaltet wird, dann in der Reihenfolge:
    • beim Abschalten: zuerst die drei Außenleiter, dann der Neutralleiter
    • beim Einschalten: zuerst den Neutralleiter, dann die drei Außenleiter
  • der Schutzleiter wird niemals geschaltet

Bei der Auswahl der Leitung ist klar, dass die Leitung sich durch Führen des Stroms nicht unzulässig erwärmen darf. Der Betriebsstrom (IB) ist daher kleiner als der Nennstrom (In) des Überstromschutzorgans, der wiederum kleiner ist als die Strombelastbarkeit der Leitung (IZ):

Nennstromregel

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Genau in dieser Reihenfolge geht man dann vor:

1. Betriebsstrom ermitteln

Wir stellen uns die Frage, was wir anschließen wollen, zum Beispiel eine Steckdose mit einem maximalen Betriebsstrom von 16 A oder ein Lichtstromkreis mit 0,45 A Betriebsstrom. Als erstes Beispiel bemühen wir die Steckdose:

IB = 16 A

 

2. Überstromschutzorgan wählen

Wir wählen zwei Alternativen:

  • Leitungsschutzschalter Charakteristik B: 16 A
  • Schmelzsicherung gG: 16 A

Man könnte annehmen, dass In = 16 A gleich die Grundlage für IZ wäre, was aber nicht ganz korrekt ist. Deshalb die Auslöseregel:

 

3. Strombelastbarkeit der Leitung ermitteln

Auslöseregel

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I2 ist dabei der große Prüfstrom (auch als Auslösestrom bezeichnet). Bei den meisten Überstromschutzorganen liegt die Auslösezeit bei diesem großen Prüfstrom bei höchstens einer Stunde. Die Ungleichung sagt also aus, dass höchstens eine Stunde die Leitung mit dem 1,45-fachen Strom der Strombelastbarkeit der Leitung belastet werden darf, bis das Schutzorgan zuverlässig abschalten muss.

Ein Blick ins Datenblatt von Leitungsschutzschaltern zeigt: Der große Prüfstrom beträgt das 1,45-fache des Nennstroms (das ist natürlich kein Zufall, sondern aus gutem Grund Bauvorschrift) und gilt für alle Leitungsschutzschalter (jeder Charakteristik). In die Formel eingesetzt folgt für Leitungsschutzschalter mit I2 = 1,45 In:

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IZ muss also nur mindestens so groß gewählt werden wie der Nennstrom des Überstromschutzorgans. Um auf das Beispiel von oben mit der Steckdose zurückzukommen:

Für den Leitungsschutzschalter B 16 A gilt SchutzGegenUeberlast0003.svg

Bei Sicherungen sieht das aber anders aus:

Der große Prüfstrom bei Ganzbereichssicherung beträgt bei Sicherung über 16 A in der Regel das 1,6-fache des Nennstroms I2 = 1,6 In (unter 16 A sind die Werte teilweise bedeutend höher). Der große Prüfstrom wird mit dem Sicherungseinsatz ohne Gehäuse ermittelt. Bei Betrieb in einem Gehäuse wird angenommen, dass die Bedingung der Auslöseregel

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erfüllt ist (DIN VDE 0636). Allerdings auch nur für Sicherungstyp gG und auch nur bei Verlegeart C oder besser. Für alle anderen Belastungen muss umgerechnet werden:

Wir setzen I2 = 1,6 In in die Ungleichung ein und ermitteln um wieviel wir IZ verschlechtern müssen:

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Im Fall unserer Steckdose mit 16 A und gG Sicherung muss IZ > 1,1 In, also IZ > 17,6 A sein, außer wir haben Verlegeart C, dann reichen 16 A.

Wir haben also folgende Werte ermittelt:

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SchutzGegenUeberlast0007.svg (Steckdose 16 A mit LS B 16 A)

SchutzGegenUeberlast0008.svg (Steckdose 16 A mit gG 16 A)

Ein Blick in die Tabelle DIN VDE 0298-4 (siehe auch Tabellenbuch) zeigt, dass der Unterschied von Leitungsschutzschalter und Sicherung schon zu einer Erhöhung des Leiterquerschnitts in mehreren Verlegearten führt.

Bevor man mit diesen Werten eine Leitung aus der Tabelle auswählen kann, müssen wir uns noch Gedanken über die Umgebungsbedingungen machen, dazu gehören Verlegeart, Umgebungstemperatur, Häufung, Anzahl belasteter Adern, Auswirkung von Oberschwingungen.

 

Verlegeart

Die Verlegeart entnimmt man der Norm (DIN VDE 0298-4) oder dem Tabellenbuch. Dort findet man dann mehr oder weniger passende Referenzverlegarten.

 

Beispiele:

  • Mantelleitung unter Fußboden entspricht etwa der Verlegeart A2 (wärmeisolierte Wand)
  • Mantelleitung in Rohr oder Kanal: Verlegeart B2
  • Unter Putz: Verlegeart C

Zu jeder Situation sucht man sich das, was am besten passt. Ist man sich nicht sicher, nimmt man die schlechtere Variante.

Bei gemischter Verlegung wird die schlechtere von beiden genommen (es nützt nichts, wenn die Leitung unter Putz kalt bleibt und im Rohr schmilzt sie schon). Übergangsstrecken von bis zu einem Meter sind aber davon ausgenommen, das heißt 1 m in Rohr und Rest auf Kabelwanne entspricht der Kabelwanne.

Sobald man IZ*, In und die Verlegeart hat, kann man bereits einen Querschnitt aus der Tabelle auswählen, vorausgesetzt, man muss nicht weitere Faktoren beachten.

*Im Tabellenbuch heißt die „temporäre“ Strombelastbarkeit der Leitung nicht IZ, sondern Ir. „Temporär“ deshalb, weil man dieses Ir mit Faktoren (f1, f2, f3, f4) weiter verschlechtert, um das tatsächliche IZ zu bekommen.

IZ ist also die tatsächliche Strombelastbarkeit der Leitung, die man am Ende mit folgender Formel erhält:

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Ir ist der hochgerechnete Strom, nach der wir die Leitung auswählen.

Die vier Faktoren stehen für Umgebungstemperatur, Häufung, Anzahl belasteter Adern, Auswirkung von Oberschwingungen (entsprechende Werte findet man im Tabellenbuch).

Wir rechnen unser Beispiel weiter. Wir nehmen an, dass wir im Dachgeschoss installieren und rechnen mit Temperaturen von 35 °C. Also verschlechtern wir unser IZ von 16 A (für die Steckdose), indem wir die Formel umstellen:

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Und einsetzen IZ = 16 A, f1 = 0,94:

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Falls man noch andere Faktoren hätte, werden diese einfach alle miteinander multipliziert. Wir erhalten mit Ir = 17,0 A den Wert, nach dem wir die Leitung auswählen können. Wir nehmen an, dass wir eine Trockenbauwand im Dachgeschoss haben, die mit Mineralwolle gedämmt ist, also Verlegeart A2. Und können jetzt in der Tabelle auswählen.

Im Übrigen beziehen sich die Faktoren in der Regel auf die 30 °C Tabelle.

Wir gucken bei: A2, 2 belastete Adern, Ir = 18,5 A in der Zeile 2,5 mm². Das ist der Querschnitt, der zu verlegen ist. In bleibt allerdings 16 A, denn

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und der nächst kleinere Nennstrom eines Überstromschutzorgan ist 16 A.

Anmerkung: Interessant ist, dass für eine gG Sicherung der Querschnitt noch weiter erhöht werden müsste auf 4 mm², denn benötigt würden IZ > 17,6 A.

Angenommen wir installieren auch eine Steckdose im Erdgeschoss und das unter Putz. So bekommen wir die Umgebungsbedingungen Temperatur ϑ = 25 °C, Verlegeart C, keinen Verschlechterungsfaktor, deshalb Ir = IZ = 16 A (statt in direkt in der 25 °C Tabelle nachzusehen, könnte man auch mit einem Temperaturfaktor rechnen, der den Wert der 30 °C Tabelle entsprechend verbessert).

Wir gucken bei: C, 2 belastete Adern, Ir = 21 A in der Zeile 1,5 mm². Dabei haben wir sogar noch Luft nach oben, denn die Leitung ist bis IZ = 21 A belastbar und kann mit In = 20 A abgesichert werden.

Anhand dieses Beispiels ist gut ersichtlich, wie weit die Auswahl von Querschnitten auseinanderklaffen können, wenn nur sehr wenige Randbedingungen verändert werden.

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